Andacht zur dritten Szene

Der Nimbus des Gegeißelten fällt auf. Seine Konturen decken sich fast ohne Überschneidung mit den inneren Linien der gefesselten Arme. Er wird in den Zwischenraum der Arme eingeschrieben. Der Nimbus wird bei dieser Komposition durch die Haltung des Gegeißelten miterzeugt. Er signalisiert die Majestät Christi; zugleich aber ist er ein Gebilde des Leidens. Die Herrlichkeit Christi wird untrennbar von seiner Passion. Indem er leidet, sehen wir - mit den Augen des Glaubens - seine Herrlichkeit. Die drei dargestellten Figuren entsprechen einander. Der Folterknecht zur Linken wiederholt die Haltung des gefesselten Christus. Der Mann zur Rechten umschreibt in seiner Haltung die Konturen des Gemarterten. Opfer und Täter werden „ähnlich“ und doch durch einen Zwischenraum sehr wirkungsvoll getrennt. In der Ähnlichkeit spiegelt Christus seine Peiniger wider und umge-kehrt. Das Auge will ihre Rollen austauschen. Dieses Spiegelspiel macht den Gedanken der Stellvertretung auf bildhafte Weise deutlich. Was den Tätern gilt, geschieht am Unschuldigen. Christus lässt sich von den Folterknechten schlagen, weil er sich für sie schlagen lässt. Die freie Fläche zwischen den Figuren umhüllt den Christus als eine unsichtbare Fortsetzung seines Nimbus. Der Zwischenraum umhüllt schützend die Figur. Der Leidende bleibt erhaben über das, was man ihm antut. Um so deutlicher und grausamer fällt dann auf der rechten Seite der Punkt ins Auge, wo die Distanz durchbrochen wird. An dieser Stelle wird die Rute von den Fäusten des Knechtes gehalten, um den Körper zu treffen. Hier entlädt sich die ganze Bewegungsenergie des Schlagenden, so dass es ihn fast von den Füßen hebt.

Literaturhinweis

Die Broschüre "Das Retabel der Stiftskirche Wetter" ist im Buchhandel unter der ISBN Nummer 3-89477-930-6 erhältlich. Wir danken dem Verlag Evangelischer Medienverband Kassel.